25.2 Lichtwer über Pferde, Esel und beraubte Fabeln

Dass so ein bißchen oder gerne auch ein bißchen mehr Disput ja gar nix schaden kann, zeigt auch das Beispiel von Magnus Gottfried Lichtwer (1719-1783), eines der berühmtesten Fabeldichters seiner Zeit, wobei die Geburt seiner Fabeln in vier Büchern eine schwere war.

1748 wurde eine erste Variante anonym gedruckt und offenbar meistenteils schlicht ignoriert. 1757 gab er sie überarbeitet noch einmal heraus und hatte nun – dank Gottscheds Lob, Moses Mendelsohns sicherlich ebenso publikumswirksamer Kritik und die unerlaubte und vor allem verfälschende Neuausgabe von Karl Ramler, den er denn auch in seiner Vorrede zerreißt – enormen Erfolg.

Und die Fabeln? Orientierten sich an Aesop, den er in einer Art zweiter Vorrede in Versen für die Natürlichkeit lobt, mit der er das Wunderbare sprechender Tiere doch wahrscheinlich fasst. Schweizer Einschlag scheint es. Aber nun die Fabeln? Lest selbst…

 

Die beraubte Fabel

Es zog die Göttin aller Dichter,
Die Fabel, in ein fremdes Land,
Wo eine Rotte Bösewichter
Sie einsam auf der Straße fand.

Ihr Beutel, den sie liefern müssen,
Befand sich leer; sie soll die Schuld
Mit dem Verlust der Kleider büßen,
Die Göttin litt es mit Geduld.

Mehr, als man hoffte, ward gefunden,
Man nahm ihr Alles; was geschah?
Die Fabel selber war verschwunden,
Es stand die bloße Wahrheit da.

Beschämt fiel hier die Rotte nieder,
Vergib uns, Göttin, das Vergehn,
Hier hast du deine Kleider wieder,
Wer kann die Wahrheit nackend sehn?

*******

 

Das Pferd und der Esel

Ein sattes Pferd ging von der Krippe,
Und fiel vor Wollust auf die Streu,
Ein dürrer Esel stand dabei,
Kein Esel, sondern ein Gerippe.
Den redete der Hengst mit diesen Worten an:
Wie es geht, guter Greis! du scheinst mir ziemlich hager;
Bist du nicht recht gesund? macht dich der Gram so mager?

Ach! sprach das Müllerthier, der hat es nicht gethan;
Der Hunger und das viele Tragen,
Des Treibers Fluchen, Stoßen, Schlagen,
Mit einem Wort, mein Freund, die Noth ist Schuld daran.
O, käme nur der Tod, das Ende meiner Plagen.

Ob es dir schon so elend geht,
Erwiederte der Gaul, so sollst du doch nicht klagen,
Ein Weiser trägt die Noth, die nicht zu ändern steht.
Du leidest nicht allein, und kurz, was willst du machen?

Das Schicksal thut, was ihm gefällt,
Dem wird das Leben süß, und dem wird es vergällt,
Das Weinen nützt oft mehr, als Lachen.
Da sprach das graue Thier: dein Bauch ist voll und satt,
Und deine Weisheit stammt aus dem gefüllten Magen.

Der hat gut predigen, und von Verleugnung sagen,
Der selber keine Sorgen hat.

*******

Ob Herr Gottsched den Fabelraub überblättert hat? Den naja. Das mit der nackten Wahrheit – doch eher nach an Gellert und den Schweizern? Lichtwer hatte es klar weniger mit ’nackt‘ und ich kann mir gut vorstellen, dass der beliebt war, hatte er doch klar ein Talent, den Finger publikumswirksam auf Wunden zu legen-

 

Textquelle: M. G. Lichtwers Fabeln in vier Büchern von dem verfasser selbst herausgegeben. 3. Aufl. Berlin 1762, S. 3 & 127f.
Bildquelle: Herr Lichtwer & Scan aus der Quelle, S. 128

Hinterlasse einen Kommentar