Am heutigen letzten Tag der Abenteuer Ardschi-Bordschi Chans muss sich nicht nur der, sondern nun auch noch eine seiner Frauen beweisen vor dem Thron. Dabei erhärtet sich aber der Verdacht, dass die Holzfiguren sich vor allem gerne selber reden hören. Lest selbst…
Die Geschichte des Ardschi-Bordschi Chan
Vikramâditja’s Gemahlin Tsetsen Büdschiktschi – Der weise Papagei – Der falsche Eid
Der König Ardschi-Bordschi hatte 71 Gemahlinnen. Eine der vornehmsten unter ihnen forderte er auf, sich vor dem Throne zu verneigen und die Weihe zu empfangen. Als sie dem Throne nahe gekommen war, da rief eine Holzfigur: „O halt! Berühre mit deinem Haupte den Thron nicht. Tsetsen Büdschiktschi, vormaleinst die Gemahlin des hochheiligen Königs Vikramâditja, pflegte nie abseits von ihrem Manne unrechten Gedanken nachzuhängen; wenn du eine solche Fürstin sein solltest, dann nahe dich und empfang die Weihe; wenn aber nicht, so lass es sein!“ Außerdem aber erzählte sie noch dazu die Geschichte von den 71 Papageien. –
Früh vor Zeiten war einmal die Gemahlin eines Königs krank geworden und die Ärzte waren nicht im Stande sie zu heilen. Weil aber in Folge des Genusses eines Vogelhirnes nach und nach ihre Krankheit sich zum Bessern gewendet hatte, gedachte der Großkönig von seinen Untertanen Vogelgehirn als Abgabe zu erheben. Deshalb berief er einen Vogelsteller zu sich, und als dieser erschien, sprach er zu ihm: „Wenn du mir aus der hiesigen Umgebung 71 Vogelgehirne lieferst, so werde ich dich belohnen; vermagst du sie nicht aufzutreiben, so bestrafe ich dich.“ Während der Mann nun in der äußersten Verlegenheit war, fiel ihm ein, dass auf einem Baume immer 71 Papageien zu übernachten pflegten. „Auf demselben werde ich Netze spannen,“ dachte er, und so spannte er denn auch in der Tat auf dem Baume die Netze auf.
Allein unter diesen Papageien befand sich ein besonders kluger; dieser kluge Papagei sprach zu seinen Gefährten also: „Auf diesem Baume hat sich unser Feind niedergelassen; wir wollen auf einem Felsen übernachten.“ Nachdem sie dort vier bis fünf Nächte zugebracht hatten, nahm der Mann seine Netze und stellte sie auf dem Felsen auf. Da sprach der kluge Papagei abermals zu seinen Gefährten: „Auf diesem Felsen hat sich wiederum ein Feind niedergelassen; wir wollen uns nach einem andern Platz wenden.“ Darüber gerieten die Gefährten in Zorn und versetzten: „Wir sind von unserm ursprünglichen Baum, indem du sagtest, dass daselbst ein Feind sich eingeschlichen habe, auf diesen Felsen gezogen; jetzt sagst du abermals, auf dem Felsen sei ein Feind erschienen; wohin willst du denn gehen? Wenn man die Sache genauer betrachtet, so dürfte im Gegenteil der Feind es auf dich allein abgesehen haben.“ Der kluge Papagei versetzte: „Wenn der Feind es auf mich absehen würde, so handelte es sich nur um ein einziges Wesen; allein es hat sich der Feind 71 Köpfen genähert und so dürfte das Verderben über alle kommen. Wie könnte ich aber trotz meines bestimmten Wissens ganz allein mich davonmachen? Auf diese Weise dürfte denn, scheinbar als hätten wir nichts gewusst, das Verderben über uns alle kommen.“
Als sie nun ungeachtet dieser Warnung auf dem Felsen weiter übernachteten, blieben sie alle in den Netzen hangen, und während sie so dalagen, sprachen die andern klagend: „Für uns Unverständige musst du, der Verständige, nun mit büßen!“ Dann aber fragten sie den klugen Papagei: „Da der Besitzer dieser Schlingen mit einem Stocke in der Hand daherkommt, sollte dir nicht noch ein Rettungsmittel einfallen?“ Der kluge Papagei sprach: „Was für ein anderes Mittel gäbe es für uns, als zu entfliehen! Indes wollen wir alle, scheinbar als wären wir tot, uns auf den Rücken, kopfüber und auf die Seite legen. Denn er wird denken, ‚die lebenden muss ich töten‘, und so könnte er uns alle totschlagen; wozu sollte er aber die Toten noch einmal totschlagen? Er wird uns ja doch wohl nur um unseres Fleisches willen töten wollen. Nachdem wir einmal in die Hände des Mannes gefallen sind, dürfte es von Vorteil sein, ruhig liegen zu bleiben. Betrachtet man diesen unsern Fels genauer, so ist der Zugang sehr eng; wenn er auch durch eine Felsspalte hindurchkriecht und herankommt, so hat er hier keinen Platz; und wenn er uns mit sich fortschleppen will, so wird er, weil er uns nicht erträgt, uns abzählen und wahrscheinlich sogar hinabwerfen; diejenigen von uns, die zuerst hinabgefallen, bleiben wie tot liegen; sobald er aber bei seinem Abzählen 71 gesagt, dann wollen wir alle der Reihe nach uns erheben und davonfliegen.“
Auf diesen Rat legten sie sich ruhig hin. Als der Mann kam und sie sah, sprach er: „O ihr schlimmen, listigen Papageien, das dürfte euer Tod sein! Ichr habt mir durch euer schlaues Hin- und Herwandern ordentlich Kummer verursacht; ich will euch weich klopfen!“ Als er hinzutrat und sie auf dem Rücken und kopfüber liegend tot sah, rief er: „Sie sind ja tot! Ich will sie sämtlich, weil der Platz so eng ist, im Abzählen hinabwerfen und dann aufheben.“ Und so warf er sie, indem er sie zählte, hinab; ganz zuletzt war noch der kluge Papagei allein übrig. Während er ihn losknüpfte und, schon 71 ausrufend, eben hinabwerfen wollte, fiel der Wetzstein, den er im Gürtel bei sich trug, mit Geräusch hinunter; die andern, in der Meinung, die Zahl 71 sei voll, flogen insgesamt auf und davon und der kluge Papagei blieb allein in den Händen des Mannes zurück. Weiterlesen